Introversion, Schüchternheit & Social Anxiety – was ist der Unterschied?

Schüchtern oder introvertiert zu sein ist doch das Gleiche, oder nicht? Mir ist bisher nicht bewusst gewesen, dass viele Menschen in meinem Umfeld introvertiert sind. Ob Klassensprecher*innen, Student*innen für Publizistik- und Kommunikationswissenschaften oder angehende Radiomoderator*innen. Erst bei der Recherche für diesen Beitrag fiel mir auf, was introvertierte Menschen ausmacht und dass es durchaus Unterschiede zu einem schüchternen Verhalten gibt.  

Der Blogbeitrag soll aufzeigen, welche Unterschiede es bei schüchternen und introvertierten Personen gibt und was passiert, wenn Schüchternheit zu einem Hindernis für das alltägliche Leben wird. 

Was ist Introversion? 

Introversion ist eine Veranlagung die von den Genen beeinflusst wird. Demnach beschreibt Introversion eine nach innen gerichtete Persönlichkeit, wohingegen Extroversion für das Gegenteil steht: eine nach außen gerichtete Persönlichkeit. Die beiden Ausprägungen kann man sich also wie eine Skala vorstellen, auf der jeder Mensch sich wiederfindet. Die meisten Menschen liegen auf der Skala eher in der Mitte, wobei mann jemanden als ambivertiert bezeichnet. 

Die Ausprägungen der Introversion und der Extroversion hat der Pychiater C.G.Jung definiert. Laut Jung lebt jeder Mensch in zwei Welten: der inneren und der äußeren Welt. Wenn ein Mensch mit der “äußeren Welt” interagiert, verhält er/sie sich extrovertiert – beispielweise in einem Meeting oder bei einem Familientreffen. Wenn der Menschen mit seinen/ihren Gedanken allerdings eher im eigenen Kopf ist, verhält er/sie sich introvertiert- beispielsweise beim Lesen eines Buches, Ansehen einer Serie oder Nachdenken über die eigenen Gefühle. Nach Jung bewegt sich also jeder Mensch in beiden Welten. Die Frage ist hier: Bevorzugst Du eher die Welt der Introversion oder die der Extroversion? Wie füllst Du am besten Deine Energietanks auf? 

Der Persönlichkeitspsychologe Hans Jürgen Eysenck führt das Verhaltensmuster der Zurückhaltung introvertierter Menschen darauf zurück, dass sie empfindlicher auf äußere Stimuli reagieren und demnach schnell ein Zustand der Reizüberflutung eintreten kann.

Da introvertierte Menschen vermehrt in sich gekehrt sind, verhalten sie sich eher still und  passiv in ihren Handlungen. Daraus kann beispielsweise resultieren, dass introvertierte Personen bei der Auswahl ihres sozialen Umfelds selektiver vorgehen, weil sie sich ungern auf viele verschiedene Menschen einstellen. Das heißt jedoch nicht, dass introvertierte Menschen nicht gern Zeit mit ihrem sozialen Umfeld verbringen.  

Introvertierte Menschen ziehen sich allerdings auch gerne mal zurück. Der Prozess der Adaption und Interaktion, der mit sozialen Zusammentreffen einhergeht, kostet sie schlichtweg mehr Energie als extrovertierte Personen. Beispielsweise nach einem Abend mit Freunden benötigen introvertierte Menschen als Ausgleich Zeit für sich, um ihre Akkus wieder aufzufüllen.  

Woran erkennst Du, dass Du introvertiert bist? 

 Um einschätzen zu können, ob Du introvertierte Persönlichkeitszüge in dir trägst, kannst Du prüfen, ob Du folgende fünf Verhaltensweisen bei dir wiederfindest: 

  1. Du bist meist loyal und ehrlich: Wenn Du jemandem erst einmal vertraust, bist Du ein*e tolle*r Freund*in und bietest zu jeder Zeit deine Hilfe und Unterstützung an. 
  2. Wenn Du Themen ansprichst, sind sie von Bedeutung: Du redest nicht viel. Oftmals erhebst Du aber dann das Wort, wenn Dir etwas als relevant erscheint. 
  3. Du hast oftmals eine analytische Sicht auf die Dinge: Daraus folgt, dass Du selten impulsiv handelst. Meistens wählst Du einen unkonventionelleren Lösungsansatz, mit dem Du Dein Umfeld überraschen kannst. 
  4. Du arbeitest sehr gewissenhaft und eigenständig: Du erledigst Deine Aufgaben hochkonzentriert, Kolleg*innen oder Vorgesetze können sich auf Dich verlassen.  
  5. Du bist ein*e gute*r Beobachter*in: Du musst nicht ständig das Wort führen, sondern fühlst Dich oft auch in der Beobachterrolle wohl. Statt im Mittelpunkt zu stehen, nimmst Du lieber die Rolle des Zuhörers ein. 

Was ist Schüchternheit? 

An sich ist Schüchternheit keine Seltenheit. Wir alle haben uns in der ein oder anderen Situation schon mal schüchtern verhalten. Tatsächlich werden schüchterne Menschen durch ihre Bescheidenheit auch häufig als sympathisch wahrgenommen. Wer schüchtern ist, wirkt allerdings auch oft unsicher. Meist spielt dabei die Angst, von Menschen aus dem Umfeld negativ bewertet oder eingeschätzt zu werden, eine Rolle. Schüchternheit ist nicht angeboren, sondern entwickelt sich mit der Zeit aus antrainierten und erlernten Verhaltensmustern. Beispiele für solche Verhaltensmuster sind das Verstecken der Hände bei der Begegnung mit unbekannten Personen oder das Abstellen von einem Fuß auf dem anderen. 

Schüchterne Menschen verhalten sich ihren Mitmenschen gegenüber auffällig zurückhaltend. Insbesondere der Kontakt zu nicht vertrauten Personen kostet schüchterne Personen häufig Überwindung. 
Schüchternheit kann durchaus unterschiedliche Ausprägungen haben und bildet sich nicht bei jedem identisch ab. In vier Bereichen treten besonders häufig Reaktionen auf: 

  • In den Gedanken: Schüchterne Menschen sind besorgt, dass andere Menschen negativ über sie denken könnten. Daraus resultiert, dass schüchterne Personen auch häufig perfektionistische Charakterzüge haben. 
  • In den Gefühlen: Schüchterne Personen verspüren Unsicherheit und Hemmungen, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. 
  • In körperlichen Reaktionen: Der Körper reagiert mit Stresssymptomen wie vermehrtem Schwitzen oder nervösen Bewegungen auf den Kontakt mit fremden Personen.
  • Im Verhalten: In seltenen Fällen versuchen schüchterne Menschen, ihre Unsicherheit hinter einem scheinbar selbstbewussten Auftreten zu verstecken. 

Was ist der Unterschied zwischen Schüchternheit und Introversion? 

Schüchternheit und Introversion sind zwei verschiedene Eigenschaften, die von außen allerdings sehr schwer zu unterscheiden sind. Dadurch werden die beiden Verhaltensmuster häufig verwechselt. 

Verhält sich eine Person introvertiert, ist dies eine Persönlichkeitseigenschaft, die angeboren ist. Schüchternheit entwickelt sich hingegen mit der Zeit durch erlernte bzw. antrainierte Verhaltens- und Gedankenmuster. 

Was unterscheidet sich am jeweiligen Verhalten? Schüchterne Menschen trauen sich aus Angst Fehler zu machen nicht, aktiv an sozialen Interaktionen teilzunehmen und sich einzubringen. Sie vergleichen sich oft mit anderen Menschen in ihrem Umfeld, fühlen sich anderen gegenüber unterlegen und entwickeln dadurch ungesunde Selbstzweifel. Oftmals fürchten sie sich vor Zurückweisung. Wer schüchtern ist, fühlt sich in der Interaktion mit fremden Menschen häufig unwohl.  

Introvertierte Personen sind eher passiv agierende Menschen. Sie ziehen ihre Energie eher aus Me-Time als aus Socializing. Das heißt nicht, dass sie nicht gern auf soziale Treffen gehen. Allerdings verbrauchen introvertierte Menschen mehr Kraft und Energie für sozialen Interaktionen als extrovertierte Menschen. Dadurch benötigen sie im Anschluss Zeit für sich, um diese Energie wieder auszugleichen. Schüchternheit ist im Gegenteil dazu mit sozialen Ängsten verbunden. Sowohl extrovertierte als auch introvertierte Menschen können von Schüchternheit betroffen sein. 

Wenn Schüchternheit zum Hindernis wird 

Zu einem großen Hindernis im Alltag kann Schüchternheit dann werden, wenn die Angst einen Menschen in alltäglichen Handlungen einschränkt. Aus der Schüchternheit können sich dann soziale Angststörungen wie Social Anxiety entwickeln. Schätzungsweise leiden in Deutschland 8,5% der Bevölkerung an einer sozialen Angststörung. Es ist jedoch nicht so, dass jede schüchterne Person Gefahr läuft, Social Anxiety zu entwickeln. 

Menschen, die von Social Anxiety betroffen sind, fürchten sich davor, in Konfrontationen mit unbekannten Menschen zu geraten oder vor Situationen, in denen eine Leistungsbeurteilung stattfinden könnte. Betroffene haben vor allem Angst davor, sich peinlich oder beschämend zu verhalten. Dadurch sind sie in ihrem Leben teilweise stark beeinträchtigt. Ihnen fällt es extrem schwer, den Alltag zu bewältigen. Daraus resultieren körperliche Beschwerden wie Unwohlsein, Herzrasen, Zittern, Durchfall, ein vermehrter Harndrang oder Panikattacken. Personen, die mit Social Anxiety leben, isolieren sich sozial, um nicht mit anderen Menschen in Kontakt treten zu müssen. 

Was hilft gegen Social Anxiety? 

Soziale Ängste können überwunden werden, denn kein Mensch wird mit Selbstzweifeln geboren. Es sind Gedankenmuster und Verhaltensweisen, die sich Betroffene in ihrem Leben, beispielsweise durch Erziehung oder negative Erfahrungen angeeignet haben. Genauso können Betroffene diese Ängste und Zweifel schrittweise hinter sich lassen. 

Social Anxiety kann therapiert werden. Eine bewährte Behandlungsform ist die kognitive Verhaltenstherapie, eine Form der Psychotherapie, die Betroffenen dabei hilft, Befürchtungen zu hinterfragen und sich Ängsten zu stellen. In den Therapiesitzungen behandeln Betroffene von Social Anxiety gemeinsam mit ihren Therapeut*innen konkrete Problemsituationen. Wichtig ist, herauszufinden, wie sich die betroffenen Personen in der Gegenwart anderer Menschen fühlen. Die Therapie soll den Betroffenen helfen, vor, während oder nach dem Kontakt mit anderen Personen keine Angst und kein Unwohlsein mehr zu verspüren. Ebenfalls kann eine Steigerung des Selbstwertgefühls Betroffenen helfen, Social Anxiety zu überwinden: 

  • Feiere Deine Erfolge: Es ist enorm wichtig für den Selbstwert, persönliche Erfolge ausgiebig zu feiern, denn dann schätzt Du Deinen Fortschritt wert. Dies lässt Dich selbstbewusster auftreten. 
  • Treffen zunächst nur in kleinen Gruppen: Dieser Tipp kann enorm helfen, wenn Du Personenansammlungen normalerweise vermeidest. 
  • Vertrauen ist gut, Begleitung ist besser: Wenn Du Dich in einer Gruppe nicht wohlfühlst oder einem Ort nicht auskennst, nimm’ anfangs immer eine vertraute Person als Begleitung mit. Diese kann Dir helfen, Dich zurechtzufinden, selbstbewusster und freier in Deinem Auftreten zu werden. 

Fazit 

Ob eine Person introvertiert oder schüchtern ist, wird durch die Veranlagung, Erfahrungen und das Erlebte aus der Vergangenheit beeinflusst. Introvertierte Menschen empfinden Interaktionen mit anderen Menschen als kräftezehrend. Schüchterne Menschen machen sich viele Gedanken darüber, was Menschen in ihrem Umfeld über sie denken könnten. Sie fürchten sich vor negativen Beurteilungen und ziehen sich im Alltag dadurch vermehrt zurück. Ihnen fällt es jedoch zunehmend schwer, sich auf den Kontakt mit anderen Personen einzulassen oder in einem neuen Umfeld einen neuen Freundeskreis aufzubauen. Das Verhalten introvertierter und schüchterner Menschen scheint auf dem ersten Blick oft sehr ähnlich. Allerdings gibt es durchaus einige Unterschiede. Verstärkt sich die Form der Zurückhaltung, spricht man von Social Anxiety.  

  

Bitte beachte, dass alle Informationen für diesen Beitrag sorgfältig recherchiert wurden, jedoch keine fachärztliche Beratung oder Behandlung ersetzen und nicht dazu genutzt werden dürfen, selbst eine Diagnose zu erstellen oder eine Behandlung zu beginnen. Dazu kannst Du ganz einfach online einen Termin für eine Videosprechstunde bei einem Facharzt oder einen persönlichen Arztbesuch in der Praxis Deiner Wahl buchen.    


Quellen: 

Blasek, V. (Stand:2020, 16. Juli): Introvertiertheit, Schüchternheit oder Sozialphobie - wo sind die Grenzen? [14.08.2021]
Godemeier, C. (Stand: 2011, 08. Juli): Carl Justav Jung: Vom kollektiven Unbewussten und den Archetypen [13.08.2021] 

Mau, K. (Stand: 2020, Juni): Ich bin nicht schüchtern! [02.09.2021] 
Merkle, R. (Stand: 2020, 09. Oktober): Schüchternheit [12.08.2021]
Rohde, F. (Stand: 2019, 10. Oktober): Introvertierte Menschen: 7 Eigenschaften, die sie besonders machen [17.08.2021] 
Royer, M. (Stand: 2021: 01. August): Bist du schüchtern oder introvertiert [03.09.2021]  

Zieger, T. (Stand: 2017, 29 August): Mit gesenktem Blick durchs Leben [17.08.2021]


 

 

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